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Zu den künstlerischen Umsetzungen von farbigen Stein-Innenstrukturen

 

Prof. Dr.  em Lutz Fiedler, Universität Marburg

 

 

"Die wichtigsten geistigen Ströme der historischen Neuzeit sind die Aufklärung und die Romantik. Die Aufklärung hatte die Mission, nach dem Mittelalter die Welt nun rational zu beschreiben und zu erklären. Man sah in den entdeckten physikalischen Gesetzmäßigkeiten das geeignete Mittel, den Kosmos und die menschliche Natur objektiv zu analysieren und dem Verstand zugänglich zu machen.

 

Einer der bedeutendsten Philosophen dieser Denkweise war der französische Philosoph Descartes, der das bisher unerklärlich Lebendige der Welt letztendlich als ein höchstkompliziertes mechanisches Konzept verstand, in dem auch der Mensch eine Maschine ist, die erforschbar und damit bis ins Detail beschreibbar wird. Diesem Denken widersprach die folgende Romantik (mit Herder, Goethe und Novalis), indem sie im inneren Wesen der Dinge ein Geheimnis sah, dass sich dem beschränkten Denken des Menschen nicht alleine in der Ratio offenbarte, sondern im Fühlen, Staunen und Wundern.

 

 

Beide so gegensätzliche Denkansätze finden seitdem und bis heute in der Literatur sowie darstellenden und bildenden Kunst ihr beeindruckendes Echo: Renaissance und Barock, visueller Realismus und stimmungsvolle Bildseeligkeit, Menzel und Spitzweg, Konstruktivismus und Surrealismus, Malewitsch und Chagall, Kubismus und Expressionismus. Ücker und Pollock, PopArt und Video-Installation sind einige der Antipoden in der das Weltverständnis in die Bildkraft der Kunst umgesetzt wurde. Die Moderne zeichnete sich darin aus, dass sich in diesen widersprüchlichen Paaren eine konstitutive Zusammengehörigkeit offenbarte, vor der die Postmoderne schließlich in einer geistigen Apathie und bewussten Konzeptlosigkeit kapitulierte.

 

 

Ohne diesen Hintergrund sind die Bilder von Sebastian Stoll nicht verständlich.

 

 

Der Künstler wurde 1969 in Mainz geboren und wurde früh durch seinen Vater Manfred Stoll mit der Mineralogie der Silikatgesteine des nahe gelegenen Hunsrücks, besonders der Gegend um Idar-Oberstein, vertraut gemacht. Die bei zahllosen gemeinsamen Streifzügen und Exkursionen gefundenen Handstücke von verkieseltem Holz oder Achat füllten die Sammlungsschränke und Vitrinen des Elternhauses. In den Schnitten und Anschliffen der Fundstücke offenbarte sich eine grenzenlose Vielgestaltigkeit chemischer Grundbaustoffe, kristalliner Gesetzmäßigkeiten und geomorphologischer Kräfte, deren Faszination Sebastian Stoll in Fotografien festzuhalten getrachtete, deren anregende Vorbilder er in mineralogischen Fachbüchern und Schmucksteinkatalogen fand.

 

 

Wie jeder andere auch konnte er sagen, dass manche dieser Bilder die Meisterwerke der modernen Malerei des 20. Jahrhunderts in Vielfalt und Reichtum übertrafen. Er begriff, dass gute Fotografien solcher Schmucksteinanschliffe insofern eine künstlerische Qualität besitzen, weil das Erkennen des geeigneten Motivs, die handwerkliche Ablichtung und die Suche nach dem perfekten Bildausschnitt selbstverständlich hohe kunsthandwerkliche Fähigkeiten verlangt. Zugleich spürte er ein Ungenügen an derartigen rein ästhetischen Ablichtungen, weil sie den Kern dessen, was sich visuell im Inneren des Gesteins an natürlicher, kraftvoller Schöpfung der Natur offenbarte, nicht in geeigneter Weise zum Ausdruck bringen.

 

 

Davon angetrieben begann er mit seinen Aufnahmen zu experimentieren und versuchte seinen Eindrücken Ausdruck zu verleihen, der Wunderwelt naturwissenschaftlicher Mineralogie mit dem geistigen Sehen und Verstehen eine gemeinsame Gestaltung zu verleihen.

 

 

Das geeignete Werkzeug lieferte ihm die digitale Bildbearbeitungsmöglichkeit per Computer. In einem langen Weg von Versuchen ging es ihm letztendlich darum, das Bestaunenswerte an der Natur und den Respekt davor nicht durch menschliche Manipulation zu zerstören, sondern durch gleichsam architektonische Spiegelungen (und Spiele mit den Farben) zu verstärken und bildlich zu erfassen.

 

 

Die beeindruckenden Ergebnisse präsentieren sich als überzeugende Vereinigung von klarer, naturgesetzlicher Darstellung und dem meditativen Bestaunen einer geheimnisvollen „blauen Blume“ nachzuspüren, deren Gemeinsamkeit sich im Ursprung und Entstehen des Kosmos, des Lebens und des menschlichen Geists findet."